• Hermann Hesse (1877-1962) was een Zwitserse schrijver. In zijn gepubliceerde verspreide geschriften zijn ook wat dagboekbladen opgenomen.
15. Mai [1955]
Ein Regensonntag, die nasse Kühle nach vielen Wochen großer Trockenheit angenehm ungewohnt, auch fürs Auge eine veranderte, umgekehrte Welt: vorher glasklare, genau gezeichnete Ferne und erwas staubige Nähe, jetzt aber eine feucht, grün und üppig wegende Nahe, die sich in konturlose wallende Hintergründe von Dampf und Wolken verliert. Bei wütenden Schmerzen keine Arbeits- oder Lesemöglichkeit. Dafür stand im Programm von Beromünster für den Vormittag etwas Lockendes: doppelchöriges Orchesterkonzert in C-dur von Händel und Concerto für Orchester 1944 von Bartók. Ein Programm, das Carlo Ferromonte nicht gebilligt hatte und das auch mir etwas kraß zusammengestellt vorgekommen war, das sich aber beim Hören dann überraschend bewahrte. Es waren zwei Welten und Zeiten da einander gegenübergestellt, zwei einander fremde, gegensätzliche Welten, Yin und Yang, Kosmos und Chaos, Ordnung und Zufall, jede von einem überlegenen, vollkräftigen Meister zur Darstellung gebracht. Händel — das war Symmetrie, Architektur, gebändigte Heiterkeit und gebändigte Klage, kristallen und logisch. Das war eine Welt, in der der Mensch als Gottes Ebenbild regierte, mit felsenfester Basis und genau bestimmter Mitte. Sie war schön, diese Welt, unsaglich schön, strahlend, gefüllt bis zum Rand mit freudiger Kraft, zentriert und geordnet wie ein farbig triumphierendes Rosettenfenster in einem Dom oder wie ein ins Rund der Lotosblüte eingebautes asiatisches Mandala. Und diese edle Welt wurde noch schöner, gewann noch an Wert und Beglückung, an kristallener Vorbildlichkeit dadurch, daß sie fern und vergangen, verlorengegangen und aus unserer anderen Zeit und Welt her mit der Sehnsucht beschworen war, die den verlorenen Paradiesen zukommt.
Dagegen diese andere Musik, die heutige, die von Bartók! Statt Kosmos Chaos, statt Ordnung Wirrnis, statt Klarheit und Kontur zerflatternde Wogen klanglicher Sensationen, statt Aufbau und beherrschtem Ablauf Zu-falligkeit der Proportionen und Verzicht auf Architektur. Und doch auch sie meisterhaft. Auch sie schön, herzbewegend, großartig, herrlich begnadet! War Händel schön wie ein Stern oder eine Rosette, so war der andere schön wie die Silberschrift, mit der der Sommerwind ins Gras phantastische Partituren zeichnet, war schön wie Schneeflocken-gewimmel und wie kurzlebige dramatische Spiele des abendlichen Lichtes auf den Flachen von Wüstendünen, und schön wie verwehte Geräusche, von denen man nicht weiß, ob sie Lachen oder Schluchzen seien, Geräusche, die man etwa, halb erst wach, am ersten Morgen in fremder Stadt, in fremdem Zimmer und Bett auf einer Reise vernimmt, die zu deuten man Verlangen, aber keine Zeit hat, denn eins geht mit rastlos schnellem Geriesel ins andre über. So rieselt, lacht, schluchzt, hustet, stöhnt, zürnt und spielt diese sinnlich reiche, farbige, schmerzlich schone Musik dahin, ohne Logik, ohne Statik, ganz Augenblick, ganz schone hinsterbende Vergänglichkeit. Und sie ist darum noch schöner und wird dadurch noch unwiderstehlicher, daß sie eben die Musik unserer Zeit ist, daß sie unser Empfinden, unser Lebensgefühl, unsere Schwachen und Starken ausspricht. Sie spricht uns und unsre fragwürdigen Lebensformen aus, und damit bejaht sie uns, sie kennt wie wir die Schönheit der Dissonanz und des Schmerzes, die reichen Skalen gebrochener Töne, die Erschütterung und Relativierung der Denkformen und Mo-ralen, und nicht minder die Sehnsucht nach den Paradiesen der Ordnung und Geborgenheit, der Logik und der Harmonie.
Tröstlich ist, daß allem Vermuten nach diese beiden Musikarten und Welten samt ihren Zwischenstufen in solchen Meisterwerken fortbestehen und immer wieder erinnerbar und beschwörbar bleiben werden und daß, sollte auch einer spatern Epoche der Schlüssel zu ihnen verlorengehen, dieser Schlüssel höchstwahrscheinlich wiedergefunden werden wird. Es werden noch viele Generationen sehnsuchtsvoll oder belustigt, bewundernd oder verwundert sich über die Brunnenschachte der Vergangenheit beugen und darüber staunen, daß alles Gewesene, wofern es von Meistern dargestellt worden ist, ewige Dauer hat.
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