27. April 1945
Frühlingsmäßig war schon die Nacht, warm & heiter bricht der Freitag herein (27/4). Die Bäume und Sträucher blühen in vollster Pracht, der Pfirsichbaum kennt keine Grenzen & doch fiehlen alle seine zarten Rosablüten wenige Tage später dem Nachtfrost zum Opfer. Warum schützt die Natur nicht ihr eigenes Gebilde? Warum zerstört sie, was sich sie vorzeitig entstehen ließ? An der Gartenpforte standen plötzlich 2 verwegen aussehende Männer, die sich aber als harmlose & freundliche Kollegen uns[eres] Kindes aus der F[irma] Hell erwiesen und mit Freuden zum Teller Hafersuppe gebeten wurden. Sie kamen aus der Gegend hinter Potsdam, fest im Schuhwerk, ein großes Brot unterm Arm und derbes Zeug auf dem Leibe. Ihre Absicht war, den Russen aus dem Wege zu gehn, sich zum Westen durchzuschlagen und lieber den, wie sie meinten, anrückenden Amerikanern zu begegnen. Wir haben, glaube ich, redlich geschwankt, ob Hermann [Helms’ Tochter Elisabeth (Liesel; 1925-2004); sie wird fast ausnahmslos »Hermann« genannt] mitziehen sollte, aber eine ruhige Überlegung ließ diesen »Treck« nicht zu. So zogen die beiden heiter von dannen, wir haben häufig an sie gedacht. Das Plündern in der Nachbarschaft hält an. Gerüchte aller Art schwirren umher, teilweise mit fester Bestimmtheit {&} ich glaube nur, was ich selbst sehe & erlebe. Darüber muß sich aber einjeder klar sein: der Krieg ist verloren und kann auch nicht mehr durch die anscheinend in weiterer Umgegend immer noch kämpfenden kleineren Trupps gerettet werden. Also doch! Aus ist es [mit] meinem Wort: »Diesen Krieg verlieren wir nicht«. Es hat mich in Tagen der Krisen gestützt, um jetzt doch seine Wahrheit vollends zu verlieren. Das Wetter schlägt um. Beim Wasserholen am Sonnabend erfahre ich, daß auf dem Friedhof in einem Massengrab die neun deutschen Soldaten, die in der vorletzten Nacht bei der Notlandung eines großen Flugzeugs auf einem Wohnhaus in nächster Nachbarschaft ihr Leben verloren. Auch das 8jähr[ige] Kind einer zugereisten Hausbewohnerin kam dabei um. Nun liegen die 10 Leichen notdürftig mit {dem?} weißen Stoff von Fallschirmen im strömenden Regen auf dem Friedhof. Gemeinschaftlich hoben wir ein großes metertiefes Grab aus. Ich belege die Sohle mit grünem Kieferreisicht und dann geht es an die Bestattung der Soldatenleichen, unter denen auch die von 2 Offizieren sind. Insgesamt sollen in dem Flugzeug 19 Insassen gewesen, ein Teil geriet an Ort & Stelle verwundet in russ[ische] Gefangenschaft, ein Teil ist geflohen. Einige Leichen sind arg durch Verwundung entstellt. Ich helfe, jeden der einzelnen Toten über den Rand des Grabes hinüber in das Grab zu heben, decke über jeden Krieger Zweige, ziehe die Seide der Fallschirme darüber und dann schaufeln wir das Grab zu. Der anwesende kathol[ische] Geistliche spricht ein Gebet, wir wenden uns zu dem inzwischen beendeten Kindergrab, das in die Leiche des kleinen {Le…wald} aufgenommen hat & verharren auch hier im stillen Gebet. Dann lassen wir die Toten und ihren Hügel allein, während neue Wasserholer heranklappern, die Pumpe rastlos aufstöhnt und mancher kaum merkt, was sich hier in der letzten Stunde im Hintergrund der Gräberreihen abgespielt hat. Trübe wie der Tag begann, ging er zu Ende. Was in der Welt, was in Deutschland, ja in der nächsten Umgebung geschehen ist: wir wissen nichts. Wohl ziehen unsere Gedanken immer wieder weit hin zu all unseren Lieben, sie kreisen um den alten Kirchturm von Uelzen, aber keine Mitteilung, kein Lebenszeichen kommt von dort. Nur die Hoffnung nur das Vertrauen auf ein gütiges Geschick bleibt uns. Noch einen langen Blick sende ich durch die schöne Birkenallee des Friedhofs, den der abendliche Regen einlullt:
Über den Gräbern ruht es wie Segen,Eine Woche des zwangsweisen Nichtstuns ist vorüber, der Sonntag hat seinen Reiz verloren.
Hüllend die Hügel in dünstigen Hauch,
Ruhe für viele, die schon am Ziele,
Drüben das Heldengrab Frieden fand auch.
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