zondag 19 juni 2016

Erich Mühsam -- 18 juni 1912

Erich Mühsam (1878-1934) was een schrijver en beeldbepalende anarchist en activist tegen het nationaalsocialisme. Zijn dagboeken 1910-1912 staan hier.

München, Dienstag, d. 18. Juni 1912
(...) Heut früh war ich beim ›Simplicissimus‹, wo ich lange mit Olaf Gulbransson sprach. Nachher wurde Thoma sichtbar und dann Geheeb, der mir Zeichnungen zum Textieren heraussuchte, darunter ein prachtvolles Revolutionsbild von Th. Th. Heine. Ich bin neugierig, wie man mir meine Arbeit bezahlen wird.
Von Hans sind die angekündigten 100 Mark noch nicht eingetroffen, dagegen von Onkel Leopold eine Karte mit der Mitteilung, daß ich die Ärzterechnungen an ihn schicken darf. – Ferner kam ein sehr merkwürdiger Brief. Frieda König, die mich seit zwei Jahren fortwährend ihrer glühenden Liebe versichert, tobt in kindlichen Versen gegen mich los. »An Erich Mühsam! Geschrieben von dir vernichteten Mädchen.« In ganz unausgeschriebenen Lettern und in sehr dürftiger Orthographie und Grammatik macht sie ganz wilde leidenschaftliche und haßerfüllte, nicht immer ganz rhythmische Verse gegen mich. Erst beschreibt sie, wie sie mich als unerfahrenes Mädchen zuerst sah: »Du warst ein häßlich Geselle –« folgt meine Beschreibung frei nach dem Dichter Rigo in meiner Novelle ›Carmen‹. Wie ich sie dann verführte: »Hier kan ich meine Wohllust stiellen.« Und dann wütende Anfälle gegen mich, der ich ihr »das Teuerste mit List geraubt«. »Erich, elender Jude,« »Erich, Scheußsal könnt ich dich erwürgen –« – »Erich du elender Wicht« – und das Gedicht schließt mit dem freundlichen Wunsch: »Erich diese Zeilen sollen dich quällen Tag und Nacht. Vielleicht kann ich mich doch noch rächen«. Ich war, als ich das gelesen hatte, zuerst ganz konsterniert. Habe ich dem Mädchen wirklich so unrecht getan? Vor ganz kurzer Zeit war sie noch bei mir und versicherte mich ihrer leidenschaftlichen Liebe. Seit ich ihr die Virginität nahm, hat sie soundsoviele Verhältnisse gehabt und dabei, wie sie behauptete, immer nur mich geliebt. Und jetzt plötzlich dieser Abfall! »Ich war verstock und begegnet dir nur mit Falschheit« behauptet sie plötzlich. Ich weiß nicht, was ich davon denken soll. Ich beruhige mich an der Zeile: »Du hast mir das Teuerste mit List geraubt«. Daß einem Mädel die Jungfernschaft noch zwei Jahre nach ihrem Verlust als »das Teuerste« erscheinen sollte, ist einfach nicht wahr, ist Phrase und anerzogene Moralität. Damit habe ich nichts zu schaffen. Ich mag sehr roh sein, aber ich weiß wahrlich andere Dinge, die mich »Tag und Nacht quällen«, als dieser Erguß. Schwamm drüber. Der Brief fliegt in den Papierkorb. Das Mädel wird nicht mehr empfangen.
(...)

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