Frankfurt, den 30. April
Kostbar ist ein Brief, den Goethe auf einer Reise nach der Schweiz aus Frankfurt an Schiller geschrieben. Wer ihn ohne Lachen lesen kann, den lache ich aus. Goethe, der an nichts Arges denkt und im Schoße des Friedens ruhig und guter Dinge lebt, entdeckt plötzlich in der Residenz seines Lebens deutliche Spuren von Sentimentalität. Erschrocken und argwöhnisch, wie ein Polizeidirektor, sieht er darin demagogische Umtriebe des Herzens demagogische Umtriebe, die, als gar nicht real, sondern nebulistischer Natur, ihm noch verhaßter sein müssen als Knoblauch, Wanzen und Tabakrauch. Er leitet eine strenge Untersuchung ein. Aber – er war noch im achtzehnten Jahrhundert – nicht ohne alle Gerechtigkeit und bedenkend, daß ihm doch auf der ganzen Reise nichts, gar nichts »nur irgend eine Art von Empfindung gegeben hätte«, findet er, daß, was er für Sentimentalität gehalten, nur eine unschuldige wissenschaftliche Bewegung gewesen sei, die ein leichtes Kunstfieber zur Folge hatte. Die Gegenstände, welche das Blut aufgeregt, seien symbolisch gewesen. Für Zeichen dürfen sich gute Bürger erhitzen, aber nicht für das Bezeichnete. Darauf wird das Herz in Freiheit gesetzt, versteht sich gegen Kaution, und es wird unter Polizeiaufsicht gestellt. Doch will Goethe die Sache nicht auf sich allein nehmen; er berichtet an Schiller, als seinen Justizminister, darüber und bittet ihn gehorsamst, das Phänomen zu erklären. Schiller lobt Goethe wegen seiner Achtsamkeit und seines Eifers, beruhigt ihn aber und sagt, die Sache habe nichts zu bedeuten.
Dieser Kriminalfall ist wichtig, und ich wünschte, Jarke in Berlin behandelte ihn mit demselben Geiste, mit dem er in Hitzigs Journal Sands Mordtat besprochen.
Die Briefe ergötzen mich bloß, weil sie mir Langeweile machen. Etwas weniger langweilig, würden sie mich entsetzlich langweilen. Wären sie gefällig, was wär's? Schiller und Goethe! Aber daß unsere zwei größten Geister in ihrem Hause, dem Vaterlande des Genies, so nichts sind nein, weniger als nichts, so wenig – das ist ein Wunder, und jedes Wunder erfreut, und wäre es auch eine Verwandlung des Goldes in Blei.
Wasser in Likörgläschen! Ein Briefwechsel ist wie ein Ehebund. Die Stille und die Einsamkeit erlaubt und verleitet viel zu sagen, was man andern verschweigt, ja was man mitteilend erst von sich selbst erfährt. Und was sagen sie sich? Was niemand erhorchen mag, was sie sich auf dem Markte hätten zuschreien dürfen.
Anfänglich schreibt Schiller: »Hochwohlgeborener Herr, Hochzuverehrender Herr Geheimrat!« Nun, diese Etikette hört freilich bald auf; aber es dauert noch lange, bis Schiller Goethes Hochwohlgeburt vergißt, und nur einmal in zehn Jahren ist er Mann genug, ihn mein Freund, mein teurer Freund zu nennen. Goethe aber vergißt nie seine Lehnsherrlichkeit über Schiller, man sieht ihn oft lächeln über dessen Zimmerlichkeit und ihn als einen blöden Buchdichter genädig und herablassend behandeln. Er schreibt ihm: mein Wertester, mein Bester.
Welch ein breites Gerede über Wilhelm Meister! Quel bruit pour une omelette! »Es sieht zuweilen aus, als schrieben Sie für die Schauspieler, da Sie doch nur von den Schauspielern schreiben wollen« – tadelt Schiller. Auch findet er unzart, daß Wilhelm von der Gräfin ein Geldgeschenk annimmt. Bei Goethe aber finden sich immer nur Maitressen oder hommes entretenus; wahre Liebe kennt er, erkennt er nicht und läßt sie nicht gelten. Der dumme Schiller! Ist nicht Wilhelm Meister ein bloßer Bürger, der keine Ehre zu haben braucht?
Mich ärgert von solchen Männern das pöbelhafte Deklinieren der Eigennamen. Sie sagen: die Humboldtin, sprechen von Körnern, Lodern, Lavatern, Badern. Auch bedienen sie sich, am meisten Schiller, einer zahllosen Menge von Fremdwörtern, und das ganz ohne Not, wo das deutsche Wort viel näher lag. Stagnation, convenient, avanciert, incalculabel, Obstakeln, embarrassieren, retardieren, Desavantage, Arrangements, satisfeciert, Aperciis, Detresse, Tournüre, repondieren, incorrigibel. Und solche Männer, die in ihren Werken so reines Deutsch schreiben! Ist das nicht ein Beweis, daß ihnen Leben und Kunst getrennt war, daß ihr Geist weit von ihrem Herzen lag?
Goethes Lieblingsworte sind: heiter, artig, wunderlich. Er fürchtet sogar sich zu wundern; was ihn in Erstaunen setzt, ist wunderlich. Er gönnt dem armen Worte die kleine Ehre der Überraschung nicht. Er scheut alle enthusiastischen Adjektive; – man kann sich so leicht dabei echauffieren.
Wie freue ich mich, daß der Konrektor Weber, der in den kalten Berliner Jahrbüchern den neuen Goethe mit brühheißem Lobe übergossen, nicht mehr in Frankfurt ist, sondern in Bremen vergöttert. Er ist ein starker, kräftiger Mann, und wenn er mich totschlagen wollte, ich könnte es ihm nicht wehren.
– – Mensch, du elender Sklave deines Blutes, wie magst du nur stolz sein? Du armes Schifflein auf diesem roten Meere, steigst und sinkst, wie es den launischen Wellen beliebt, und jede Blutstille spottet deiner Segel und deines Steuers! Der Puls ist der Hammer des Schicksals, womit es Könige und Helden schmiedet und Ketten für Völker und das Schwert, sie zu befreien, und große und kleine Gedanken und scharfe und stumpfe Empfindungen. Du König im Purpurkleide, wer kann dir widerstehen ? ... War ich doch gestern weich wie Mutterliebe, und heute spotte ich die deutschen Götter weg und schnarche in ihren Tempeln!
Carl Ludwig Börne (1786-1837) was een Duitse journalist en criticus. Bij Gutenberg zijn wat dagboeknotities (die vooral over Goethe gaan) van hem te vinden.
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