zondag 1 november 2020

Luise Rinser • 1 november 1944

• Luise Rinser (1911-2002) was een Duitse schrijfster en politiek activiste. Ze publiceerde verschillende boeken met dagboekaantekeningen.
In oktober 1944 werd ze gevangen genomen wegens Wehrkraftzersetzung ('ondermijning van de weerbaarheid'). Met kerstmis werd ze weer vrijgelaten. Ze hield tijdens haar gevangenschap een Gefängnistagebuch bij.

1. November 1944
Allerseelen. - Heute nacht war große Aufregung. Plötzlich lauteten Alarmglocken und Telefon. Gleich darauf hörte ich das Tuten ausfahrender Autos, und einige Zeit spater fielen Schüsse in allen Gegenden der Stadt. Ich zitterte vor Aufregung, denn ich dachte, die Russen oder die Alliierten seien gekommen. Bald darauf fuhren die Autos wieder vor, Türen gingen, Gitter schlugen zu, Stille. - Am Morgen erfuhr ich, daß zwei Polen einen Fluchtversuch gemacht hatten. Einer war entkommen, der andere war angeschossen und wieder gefangen worden. Seit dem Morgen bin ich von dem wahnwitzigen Gedanken erfüllt, ebenfalls zu fliehen. Vormittags wurde ich mit Frau P. und Frau M. zum Wäscheholen auf den Trockenboden geschickt. Wir waren allein. Wir kletterten auf die Heizungsrohre und schauten aus den Dachluken. Tief unten lag die Stadt im Nebel, weithin Hügel mit gelben und roten Laubwaldern, dahinter die Berge, schon beschneit. Ich roch die Freiheit. Frau P. mußte gespurt haben, was ich dachte, denn sie zog mich energisch herunter und sagte: »Das ist Gift. Herunter da. An die Arbeit.« Aber als ich einen Augenblick allein war, stieg ich noch einmal hinauf. Einige Meter unter dem Fenster lauft die Dachrinne. An der Dachkante liegt der starke Draht des Blitzableiters. Er führt an der Hausmauer entlang in den Hof. Über die Hofmauer neigt sich tief ein baum. Man könnte es versuchen. — Ich weiß, das ist Unsinn. Aber der Plan verfolgt mich. Heute nacht empfand ich plötzlich heftigen Groll gegen K., weil er nichts unternimmt, mich zu befreien. Er könnte beispielsweise ein Flugzeug mieten, tief über dem Hof kreisen, wenn wir Holgang haben, ein Tau herablassen, an das ich mich blitzschnell klammern würde, und fort mit mir. Ich lache mich aus, aber das gehört nun einmal, wie es scheint, zur 'Gefängnispsychose'; ein Wort, das man hier recht häufig hört. Wenn man krank ist beispielsweise und sich zum Arzt meldet: "Sie sind nicht krank, sie haben nur Gefängnispsychose.« Das Wort ist auch den Ungebildetsten hier geläufig.
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